„Lass die Finger von dem Scheiß“
Schüler*innen rappen in ihrem eigenen Song gegen Drogenkonsum
„Bleib laut, bleib aggressiv“, ruft Daniel Schneider dem Schüler hinter dem Mikrophon zu. „Deine Stimme ist richtig gut“, lobt der Rapper und Produzent bereits nach der ersten Tonaufnahme. Aber: „Hände hoch, auf den Boden! Handschellen angeschoben“ – das muss deutlich lauter gerappt werden. Am Kolping-Berufskolleg Paderborn (BKP) hat sich ein Klassenraum in ein Tonstudio der Rapschool NRW verwandelt. Sechs Schüler und eine Schülerin aus den Ausbildungsvorbereitungsklassen nehmen ihren selbstgeschriebenen Song „Raus aus der Gasse“ auf. „Hip-Hop gegen Sucht“ heißt der Workshop im Rahmen der Landeskampagne „Sucht hat immer eine Geschichte“. Die Schüler*innen können hier ihre Sicht vom Suchtmittelkonsum musikalisch ausdrücken – in ihrer eigenen Sprache und als Ausdruck ihrer Jugendkultur.
Die Nachwuchs-Hip-Hopper*innen vom BKP haben alle einen eigenen Part in dem Song, den sie unter Anleitung von Daniel Schneider von der Rapschool NRW professionell aufgenommen haben. Foto. Jana Sudhoff Drei Stunden brainstormen, texten, reimen: Dann war ihr Text (erstmal) aufnahmereif. In „Raus aus der Gasse“ erzählen sie die Geschichte einer Freundesgruppe, die – fünf Jahre nach ihrem ersten Joint auf einer Parkbank – in Abhängigkeit, Schulden und Einbrüche abgerutscht ist: „Psychisch am Arsch, physisch kaputt.“ – „Lass die Finger von dem Scheiß, denn das Leben hat sein Preis. Drogen bringen nix. Für‘n Moment bist du high. Du denkst du bist frei. Doch dann ist alles vorbei.“ Mit dieser Kernaussage warnen sie in ihrem „Hook“ (Refrain) vor einer Suchterkrankung. Beeindruckt vom Songwriting der Sieben aus dem Schulprojekt, die sich den Namen „AVV“ gegeben haben, war auch Valentina Beckin von der Suchtkrankenhilfe im Caritasverband Paderborn, der das dreiteilige Projekt am BKP initiiert und zusammen mit der Lobby (Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche in Konfliktsituationen des Caritasverbandes) begleitet hat.
Grundwerte statt der dicksten Uhr
Valentina Beckin hat die Jugendlichen zum Auftakt des Workshops für ein suchtfreies Leben sensibilisiert und den Staffelstab an BKP-Lehrerin Esther Dykhoff weitergegeben. Sie hat das Songwriting begleitet, bevor Daniel Schneider, Dozent der Rapschool NRW, nach Paderborn kam, um mit der Hip-Hop-Gruppe den Songtext aufzunehmen und das Rohmaterial in seinem Tonstudio mit den passenden Effekten zu mischen. „Ich gebe das weiter, was ich liebe. Es ist kein Beruf, sondern meine Berufung“, beschreibt Daniel Schneider seine Motivation, in Schulen und Jugendeinrichtungen zu gehen, um Kinder und Jugendliche im Hip-Hop zu unterrichten. „Jeder sollte irgendwen unterrichten in den Grundwerten des Hip-Hops“, sagt Daniel Schneider.
So bekamen auch die Jugendlichen des BKP einen kleinen Exkurs zu dem Genre, das sich unter anderem durch rhythmischen Sprechgesang auszeichnet. „Es geht nicht darum, wer die dickste Uhr hat“, betonte der Profi-Hip-Hopper. Der Hip-Hop habe sich seit seiner Geburtsstunde am 11. August 1973 auf die Fahnen geschrieben, auf die Menschenrechte aufmerksam und sich stark zu machen gegen Rassismus. Auch gegenseitiger Respekt sei eines der Grundprinzipien, wie der Hip-Hop-Dozent der Schülerprojektgruppe vermittelte.
Eine Message des Unterrichts war auch: Eine Strophe im Hip-Hop umfasst 16 Zeilen. Anlass für die Schüler*innen, nochmal an den Text ranzugehen. Zehn Zeilen fehlten ihnen für ihre zweite Strophe. „Was fällt zu Asphalt ein?“ – ein Teil der Gruppe hat sich in den Nebenraum zurückgezogen, um nachzuliefern. „Unglaublich, wie schnell ihr seid“, ist Esther Dykhoff fasziniert vom Flow ihrer Schüler*innen, die in kürzester Zeit ihr Storytelling komplettiert haben.
Ein Push für das Selbstbewusstsein
Ohnehin ist Esther Dykhoff stolz auf ihre Schüler*innen: „In dem Workshop hatten sie die Chance, ihre Talente im Raum Schule zu zeigen und sich einmal darin auszuleben, worin sie gut sind. Dafür hat es sich gelohnt, damit ihr Selbstbewusstsein einen Push bekommt“, freut sich die Lehrerin mit ihren Schüler*innen über die coole Erfahrung, die sie in dem Workshop machten. „Die meisten hören Hip-Hop, teilweise stammen ihre Vorbilder aus dem Genre, manche freestylen auch selbst. Hip-Hop ist die Sprache, in der sie sich selber ausdrücken“, hebt Esther Dykhoff die Stärken des Konzepts hervor. „Hip-Hop ist in Deutschland seit neun Jahren die Jugendkultur Nummer 1“, ergänzt Daniel Schneider, der sich von „AVV“ verabschiedete: „Ihr habt heute eine gute Leistung gebracht.“
Den Song der „AVV“ findet man auf der Homepage der Ginko Stiftung für Prävention, die die Landeskampagne „Sucht hat immer eine Geschichte“ koordiniert:
https://www.suchtgeschichte.nrw.de/Youth/HipHop-Workshops