Irritieren, schmoren lassen und verkomplizieren
Das Spielleiterteam ist bereit für das „UNbekannte UNbehagen“
„Es ist schön, so viele Menschen aus so vielen Ländern hier zu sehen. Viel besser kann es gar nicht sein für die Republik Fremdistan“, freute sich Projektleiterin Nadja Müller de Ossio von der Flüchtlingshilfe Bonn bei ihrem Besuch in Rimbeck. Die fiktive Republik hat ihren Grenzposten in der Aula des Theresia-Gerhardinger-Berufskollegs – in Kooperation mit dem Umfeldmanagement der Malteser Betreuung in Borgentreich – aufgeschlagen. Noch bis zum 28. März können sich Einreisewillige hier eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung erspielen. Die Projektleiterin aus Bonn war zusammen mit ihrer Kollegin Jana Gigl und Hussein und Pylyp aus dem Bonner Spielleiterteam zur Generalprobe in den Kreis Höxter gekommen. Einen Tag lang machten sie die Escape-Room-Betreuer*innen mit den Rätseln der drei Spielräume des „UNbekannten UNbehagens“ und ihren Aufgaben als Regisseur*innen vertraut.
Die Spielleiter*innen von „Fremdistan" freuen sich auf alle Einreisewilligen, die sich eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung erspielen wollen. Wie das geht, das erfuhren sie bei der Generalprobe von den Expert*innen der Flüchtlingshilfe Bonn. Foto: Jana Sudhoff
15 Geflüchtete, die zum Teil in einer Flüchtlingsunterkunft in Borgentreich untergebracht waren bzw. sind, gehören zu dem internationalen Team vor Ort, das die „Schutzsuchenden“ durch „Fremdistan“ begleiten. Sie stammen aus Syrien, Aserbaidschan, Mazedonien, Russland, Algerien, Afghanistan und der Türkei. Ihre Expertise: wirre Nachrichten in ihrer Muttersprache per Walkie Talkie ins Spielgeschehen einstreuen. „Sie können sich entspannt austoben“, beschreibt Nadja Müller de Ossio den Arbeitsauftrag: die Spieler*innen irritieren, schmoren lassen, es ihnen schwer machen. „Das ist das Gefühl, das wir vermitteln wollen“, sagt die Bonner Projektleiterin. „Das Ziel ist, dass sich die Spieler*innen nicht wohlfühlen.“ Wie lebe ich einen Alltag, dessen Sprache ich nicht verstehe? Wie finde ich mich in einer Kultur mit unbekannten Normen und Zeichen zurecht?
Perspektivwechsel in „Fremdistan“
„Um Integration umsetzen zu können, ist es wichtig zu verstehen, welche Hürden es für Flüchtlinge zu bewältigen gibt“, unterstrich Schulwerks-Geschäftsführerin Eva Klare-Kurtenbach einen Tag später bei der offiziellen Eröffnung des Escape Rooms in der Aula des Berufskollegs. „Es lohnt sich!“, sagte Nicolas Aisch, Bürgermeister von Borgentreich, der sich zusammen mit drei weiteren Freiwilligen im Rahmen der Eröffnungsfeier ins „UNbekannte UNbehagen“ wagte, um die Hürden der Zentralregistratur zu nehmen, den Weg in die Flüchtlingsunterkunft zu finden und sich dort für die unbefristete Einreise ins Land zu bewähren.
„Man versetzt sich in die Lage der Menschen, die fremd sind. Wir gehen davon aus, dass wir immer verstanden werden. Aber es ist schwierig, […] wenn wir nicht die gleiche Sprache sprechen“, fasste Werner Dürdoth, Ortsvorsteher von Borgentreich, für die Lokalzeit OWL seine Eindrücke aus dem Escape Room zusammen. „Es ist ein wichtiger Schritt zu vermitteln, wie schwierig es ist für die Menschen, die nach Deutschland kommen, diesen Weg zu gehen“, beschrieb er den Lerneffekt.
Mit der Simulation der komplizierten Einreisebedingungen möchte das erlebnispädagogische Projekt genau dies erreichen: Die spielerische Reise lädt ein, die emotionalen Herausforderungen des Ankommens in der Fremde hautnah zu erfahren und das Gefühl von Überforderung, Hilflosigkeit, der Fremde und der Abweisung zu erleben. „Wir hoffen, dass die Menschen nach dem Besuch in Fremdistan etwas freundlicher und empathischer sind und etwas mehr Geduld haben“, so Nadja Müller de Ossio.
Multiplikatoren erreichen
„Wenn wir es schaffen, ein paar Multiplikatoren zu erreichen, dann war das Projekt ein großer Erfolg“, sagte Lutz Köller, Umfeldmanagement der Malteser Betreuung in Borgentreich, im Rahmen der Eröffnungsfeier. Er zeigte sich bei seinen Begrüßungsworten ebenfalls begeistert von der „tollen und raffinierten Idee“ des Escape-Room-Konzepts, mit dem man ein Zeichen setzen wolle im Rahmen der „Internationalen Wochen gegen Rassismus“ vom 11. bis 24. März im Kreis Höxter. Die Initiative, den Escape Room in die Region zu holen, ging von seiner Kollegin Martina Mlody aus. Überzeugt hat sie das Konzept nicht zuletzt deswegen, weil die Geschichte, die hinter dem Escape Room steht, auf den persönlichen Integrationserfahrungen von Geflüchteten basiert.
Große Resonanz
Erfahrung mit der Arbeit mit Geflüchteten hat auch der Kooperationspartner: das TGB. Seit 2017 hat das Berufskolleg, dessen Schülerschaft aus 20 Nationen besteht, die Ausbildungsvorbereitung auf die Bedarfe dieser Zielgruppe ausgerichtet. Die Freude war daher ganz auf Seiten von Schulleiter Hartmut Peter, das „UNbekannte Unbehagen“ eröffnen zu dürfen. „Es ist nicht nur sehenswert, sondern erlebenswert“, betonte Peter.
Sein Wunsch, die Gäste mögen ihre Begeisterung für das Projekt streuen, damit alle 51 Spielzeiten bis zum 28. März belegt werden, hat sich bereits fast erfüllt. Wer noch einen Slot ergattern möchte, muss sich beeilen. Es gibt nur noch vereinzelt freie Termine für den Escape Room. Die kostenfreien Spielzeiten können von Gruppen von zwei bis sechs Spieler*innen gebucht werden: montags bis freitags jeweils um 10 Uhr, 12 Uhr und 14 Uhr. Die Samstagstermine sind bereits vergeben.