Jugendsozialarbeit oft unter dem Radar
Weihbischof besucht Kolping-Einrichtungen in Gütersloh
„Mit unserer Arbeit segeln wird oft unter dem Radar“, sagte Wolfgang Gelhard, Geschäftsführer des Kolping-Bildungswerks Paderborn. Den Josefstag nahm er daher zum Anlass, um die Jugendsozialarbeit ins Rampenlicht zu stellen. Dazu begrüßte er in den Räumlichkeiten des Kolping Berufskollegs in Gütersloh einen besonderen Gast: Weihbischof Dr. Dominicus Meier OSB aus Paderborn ließ sich im Rahmen seiner Visitation gerne einen Überblick und vertiefende Einblicke in die Jugendsozialarbeit und die Jugendberufshilfe von Kolping im Kreis Gütersloh geben. Ins Gespräch über die Arbeit mit diesen besonderen Zielgruppen kam man anhand von zwei Beispielen: dem Gütersloher Standort der Kolping-Bildungszentren Ostwestfalen-Lippe und dem Kolping Berufskolleg Gütersloh. Es folgte ein reger Austausch über die Herausforderungen und Chancen der schulischen, beruflichen und sozialen Integration.
Trafen sich anlässlich des Josefstages zum Austausch über die Jugendsozialarbeit im Kreis Gütersloh (von links): Diözesanpräses Sebastian Schulz, Schulwerk-Geschäftsführerin Eva Klare-Kurtenbach, Dekanatsreferent Matthias Stumpe, Gerlinde Ramsch (Kolping-Bildungszentren Ostwestfalen-Lippe), Berufskollegschulleiter Klaus Pferner, Weihbischof Dr. Dominicus Meier OSB und Kolping-Bildungswerk-Geschäftsführer Wolfgang Gelhard. Foto: Jana Sudhoff
Vor großen Herausforderungen stehen die Lehrkräfte am Berufskolleg. Die Schule mit sonderpädagogischem Förderschwerpunkt gehört mit ihrem hohen Migrationsanteil – mehr als 30 Nationalitäten treffen hier zusammen – und der sozialen Zusammensetzung der Schüler*innen zu den „Brennpunktschulen“ in NRW, wie Schulwerk-Geschäftsführerin Eva Klare-Kurtenbach erläuterte. Die Schule steht auf zwei Säulen, wie Schulleiter Klaus Pferner ausführte: Das Klientel setzt sich aus Schüler*innen der internationalen Förderklassen sowie der Ausbildungsvorbereitung zusammen. Am größten ist der Anteil muslimischer Schüler*innen (zwischen 60 und 70 Prozent). Ein großer Teil der Lernenden stammt aus Syrien, Afghanistan und aus arabischen Ländern. Auch vom afrikanischen Kontinent, aus dem asiatischen Raum und aus der Ukraine kommen junge Menschen. Und der Schmelztiegel der Nationen wird vermutlich noch größer. Mit weiteren Wellen von Flüchtlingen rechnet der Schulleiter in nicht allzu ferner Zeit: aus Bangladesch und dem Nahen Osten.
Bindungsarbeit ist eine der tragenden Säulen
Die Besonderheiten, denen sich die Lehrkräfte oft gegenübersehen: Die Geflüchteten haben auf ihrem teils jahrelangen Weg der Flucht den Zugang zur Schule und wichtige Zeit für ihre Persönlichkeitsentwicklung verloren. Auch haben viele traumatische Erlebnisse im Gepäck. Einen großen Raum im Unterricht nimmt auch die Vermittlung interkultureller Kompetenzen und politischer Bildung ein. Viele junge Menschen kommen zudem als Analphabeten nach Deutschland. Und nicht immer verläuft der Spracherwerb flüssig. „Die Clanstrukturen sorgen dafür, dass die Schüler*innen außerhalb von Schule kein Deutsch sprechen“, zeigt Pferner aktuelle Probleme auf. „Wir schaffen Lerngelegenheiten und geben unseren Schüler*innen die Mittel an die Hand, sprachliche Fortschritte zu machen. Wir können hier aber keine Wunder vollbringen, wenn sie außerhalb von Schule nicht unterstützt werden“, sagte Pferner.
Viel Unterstützungsbedarf haben auch die Schüler*innen, die ohne Schulabschuss an das Berufskolleg kommen und in der Ausbildungsvorbereitung beschult werden. „Sie sind oft schulmüde und psychisch angeschlagen“, sagt der Schulleiter. „Das erste Jahr ist daher eigentlich reine Bindungsarbeit.“ Diese ist an der Schule am Steinmerschweg eine der tragenden Säulen: Schule als verlässlichen und sicheren Ort zu gestalten, wo man sich auf jeden einzelnen Menschen einlässt. Bei beiden Bildungsangeboten liegt das Augenmerk darauf, nachhaltige Lernwege zu verfolgen und Inhalte über Sinnhaftigkeit und Alltagsbezug zu vermitteln.
„Es gibt für jeden den richtigen Weg“
Junge Menschen als Individuen wahrzunehmen und ihre Talente zu erkennen und zu fördern, steht auch in den Kolping-Bildungszentren Ostwestfalen-Lippe im Mittelpunkt. „Es gibt für jeden den richtigen Weg, den müssen wir nur finden“, betonte Gerlinde Ramsch, Leiterin Ausbildungsmaßnahmen, die einen Einblick in den Alltag am Standort Gütersloh gab. Um die Jugendlichen mit Förderbedarf in ihrer Ausbildung – und schlussendlich auf ihrem Weg zu einer Festanstellung – nach eigenen Neigungen, Kompetenzen und Talenten zu unterstützen, gibt es zwei Maßnahmen: die begleitete betriebliche Ausbildung (bbA) im Auftrag der Agentur für Arbeit Gütersloh und die Ausbildung für Menschen mit besonderem Förderbedarf (Reha koop) in Kooperation mit Gütersloher Unternehmen. Die jungen Menschen, die nicht alleine ihren Weg in einen Beruf gehen können, bringen diverse und extrem unterschiedliche Voraussetzungen in puncto familiäres Umfeld, schulische Vorerfahrungen, Einschränkungen durch die Art der Behinderung, Freundeskreis/Umwelteinflüsse sowie Wohnumfeld/Mobilität mit. „Die Jugendlichen sind wichtig und wertvoll“, lautet das Credo in der Gütersloher Jugendberufshilfe. Daher liegt das große Augenmerk darauf, die Ressourcen, Bedürfnisse, Vorerfahrungen und den Unterstützungsbedarf eines jeden*einer jeden Teilnehmenden herauszufinden. „Ausbildung ist mehr als die Vermittlung von Fachwissen“, unterstrich Gerlinde Ramsch. In den Ausbildungsmaßnahmen stehen daher auch persönliche, soziale, methodische, interkulturelle Kompetenzen, IT- und Medienkompetenz, politische Bildung und lebenspraktische Fertigkeiten auf dem Stundenplan.
In der Schulpraxis fallen jedoch auch gesellschaftliche Faktoren ins Gewicht. So berichteten Pferner und Ramsch unisono von einer Zunahme psychischer Beeinträchtigungen in der Schülerschaft. Zudem erschwere die – immer noch – durch Corona bedingte herrschende Distanz zu den Lehrer*innen als Bezugspersonen und zu Schule als Institution den Zugang zu den jungen Menschen. Auch die Auswirkungen der „missverstandenen Inklusion“ bekommen beide Kolping-Einrichtungen zu spüren, wenn Schüler*innen aus dem gemeinsamen Lernen der Regelschulen zu ihnen kommen. „Sie wurden dort abgehängt“, berichtet Pferner, in dessen Klassen die Schüler*innen mit mangelndem Selbstvertrauen und dem Gefühl des Ausgegrenztseins Platz nehmen.
Trotz aller Herausforderungen sind es die Momente wie beim Gütersloher Weihnachtsmarkt, in denen den in der Jugendsozialarbeit Tätigen das Herz aufgeht: die strahlenden Gesichter der Berufsschüler*inne, die dort ihre Werkstücke anbieten und bei jedem verkauften Produkt die Erfahrung machen dürfen, dass ihre Arbeit wertgeschätzt wird.
„Sie machen das Glas halbvoll“, lobte Wolfgang Gelhard das Engagement für benachteiligte Jugendliche im Gütersloher Berufskolleg sowie in den Kolping-Bildungszentren. „Das ist auch ein Leben von Kirche.“ Um dieser wichtigen Arbeit mehr Öffentlichkeit zu bescheren, sind Verantwortungsträger aus der katholischen Kirche, aber auch aus der Politik, zum Josefstag eingeladen, sich vor Ort ein Bild von der Lage in den Einrichtungen der Jugendsozialarbeit zu machen.
Unterstützung von Kirche und Politik gewünscht
„Wir brauchen Unterstützung im Übergang, in der Orientierung und Berufsvorbereitung und einen Ausbildungsplatz nach eigenen Neigungen, Kompetenzen und Talenten“, postulieren die Einrichtungen der katholischen Jugendsozialarbeit zum Josefstag 2024. „Wir fordern mit dem Josefstag Kirche und Politik zur Unterstützung aller jungen Menschen auf“, formulieren sie anlässlich des bundesweiten Aktionstages, der alljährlich auf die Arbeit in Einrichtungen der Jugendsozialarbeit, insbesondere der Jugendberufshilfe, in katholischer Trägerschaft aufmerksam macht.
Bei Weihbischof Dr. Dominicus Meier OSB stieß das auf offene Ohren: „Ich freue mich als Bistumsleitung im Rahmen der Visitationen einen Querschnitt aus den Gemeinden zu Gesicht zu bekommen. Und dabei nicht nur zu sehen, was liturgisch geschieht.“ Als ehemaliger Verwaltungsdirektor eines Gymnasiums war sein Interesse an den Bedürfnissen junger Menschen und den entsprechenden Angeboten groß.