Neues Rüstzeug für den beruflichen und privaten Alltag

Projektwoche zeigt Facettenreichtum der Ausbildung

Da leuchtet die Raupe Nimmersatt dem Publikum, das auf den „Theaterrängen“ Platz genommen hat, in fluoreszierender Farbe aus dem Kamishibai entgegen. Da vermeint man in den „Achtsamkeitsräumen“ den Geruch gebrannter Mandeln in der Nase zu haben, während man der vertonten Sinnesgeschichte „süße Kirmesdüfte“ lauscht. Da erweckt im „Kinoraum“ ein märchenhafter Stop-Motion-Film die Illusion, die Begegnung von Rotkäppchen mit dem bösen Wolf zu erleben. Da erspüren die Gäste auf dem Barfußpfad und in den Fühlboxen, wie gut ihre Sinne ausgeprägt sind. Erwacht ist auch das Improvisationstalent der angehenden Erzieher*innen, Kinderpfleger*innen und Sozialassistent*innen, wie das Publikum mit seinen Regieanweisungen bei den drei Aufführungen auf der „Improbühne“ testen kann. Wie praxisnah und abwechslungsreich der Unterricht am Kolping-Sozial-Berufskolleg in Delbrück ist, erfuhren die Gäste beim Tag der offenen Tür. Die Schüler*innen hatten ihnen eine Auswahl ihrer Ergebnisse aus der Projektwoche präsentiert. In den Workshops gab es Aha-Erlebnisse, Neues für den Methodenfundus im späteren Berufsalltag, aber auch persönliche Lerneffekte.

Spontanität beweisen beim Improtheater, Millimeterarbeit beim Stop-Motion-Dreh, Schwarzlichteffekte nutzen beim Kamishibai, seine Sinne schärfen, achtsame Momente in den Alltag integrieren – die Schüler*innen des Kolping-Sozial-Berufskollegs in Delbrück haben in der Projektwoche das Facettenreichtum der Ausbildung kennengelernt.

Einer der Höhepunkte für Schulleiterin Silvia Zimmardi, die das Modul „Sinne“ zusammen mit Johannes Falke angeboten hatte: Anna Mühling, Schulwerks-Fachreferentin für Demenz, hatte einige Stationen des Demenzsimulators aufgebaut. Schimpftiraden, Gelächter, Flüche, gut gemeinte Ratschläge – ein Mix an Reaktionen und Emotionen sprudeln beim Versuch heraus, die simulierten Hindernisse zu bewältigen. Schnell spürt man selbst, wie sich Menschen fühlen, die an Aufgaben scheitern. „Man bekommt ein gutes Gefühl dafür, wie frustrierend und enttäuschend es ist, wenn etwas nicht klappt“, sagt Silvia Zimmardi. Ein Aha-Erlebnis, das sie für sich selbst und die Ausbildung mitnimmt: Wichtig ist es, alternative Möglichkeiten zu finden, um es Menschen leichter zu machen.

„Verkehrte Welt“ macht den Kopf frei

Immer der Nase nach führte der Weg zur „Achtsamkeit“. Der Duft aus dem Diffuser tauchte auch den Flur in eine fruchtige Note. Nicht nur olfaktorisch haben sich die Workshopleiterinnen Tanja Kaup-Carrozzo und Heike Wengenmaier gut aufgestellt. Meditationen, Tageschallenges, Achtsamkeitstagebuch, Entspannungs- und Bewegungsübungen – vielschichtig ist das Repertoire, das sie den Teilnehmerinnen an die Hand geben. Miniimpulse von fünf bis zehn Minuten können schon helfen, sich zu entspannen. „Wenn man im Trott ist, wendet man es nur einfach zu selten an“, sagt Heike Wengenmaier, die beispielsweise das Spiel „verkehrte Welt“ empfiehlt: Beim Kommando „aufstehen“ setzt man sich auf den Boden, beim Kommando „vorwärts“ geht es rückwärts. Eine effektive Methode, um den Kopf auf andere Gedanken zu bringen. Die kleinen achtsamen Auszeiten wissen die Teilnehmerinnen nicht für sich selbst zu schätzen. „Diese Übungen, wie Entspannungsreisen, kann man auch mit unruhigen Kindern oder nach einem anstrengenden Tag in der Kita machen“, sagt eine Schülerin. „Das sind kurze Frequenzen, die man nicht lange planen muss, sondern spontan einfließen lassen kann“, ergänzt eine andere. Und von ihrer selbst vertonten Audioversion der „süßen Kirmesdüfte“ für den Tag der offenen Tür profitieren die Schülerinnen auch nachhaltig – für ihren künftigen Materialfundus. In der beruflichen Ideensammlung landet auch die Bauanleitung für einen „Achtsamkeitswürfel“, mit dem die Gäste beim Tag der offenen Tür Satzanfänge würfelten als Impulse, um über Aspekte der Achtsamkeit nachzudenken.

Millimeterarbeit für Rotkäppchen

Einen großen Fundus an Figuren, Kulissen und Hintergrundbildern zu gestalten, das gehörte zu den aufwendigen Arbeiten in der Gruppe „Stop Motion“. Doch die eigentliche Mammutaufgabe wartete im Anschluss auf die Nachwuchsregisseur*innen des märchenhaften Stop-Motion-Films: Ist der Kopf richtig? Sieht man die Schnurrhaare? Ist die Tür verrutscht? In akribischer Millimeterarbeit wird die Begegnung von Rotkäppchen mit dem bösen Wolf unter der Kamera in Szene gesetzt. „Normalerweise bedarf es 24 Bilder für eine flüssige Bewegung“, erklärt Projektleiter Robert Raddatz. Zehn Szenenwechsel haben sich seine Schüler*innen vorgenommen. Um das Happy End von Rotkäppchen aus Zeitnot nicht zu gefährden, haben sie das Bildervolumen abgespeckt – fünf Bilder pro Sekunde gilt es dennoch zu animieren. „Es ist magisch, etwas Lebloses durch Bewegung, Geräusche und Musik lebendig werden zu lassen“, sagt Robert Raddatz, der seit Jahren „Feuer und Flamme“ ist für die Stop-Motion-Technik. Der Funke ist auch bei vielen Schüler*innen übergesprungen. „Manche beißen sich regelrecht fest und entwickeln ständig neue Ideen: Kann man Rauch aus dem Schornstein aufsteigen lassen? Dann rattert es bei den Animator*innen.“ Das geht im Beruf später auch weniger aufwendig: „Mit Legetrick-Animationen in 2D kann man solche Projekte auch schon mit Kindern ab vier oder fünf Jahren umsetzen“, sagt Robert Raddatz. Gute Einsatzmöglichkeiten von Stop-Motion-Filmen sieht er auch in der OGS und in der Kinder- und Jugendhilfe.

Dreiklang im Einklang

Mit konzentrierten Gesichtern sind auch die Schülerinnen über ihre Plakate für das Kamishibai-Erzähltheater gebeugt. Sie illustrieren die Geschichte von „Bambi“, entwerfen eine schwarzlicht-schimmernde Version der „Raupe Nimmersatt“, erfinden für das „kleine Gespenst“ eine weihnachtliche Episode, lassen Hase und Eichhörnchen in einer selbstgeschriebenen Geschichte zu Freunden werden, tauchen in die eisig-zauberhafte Welt zweier Prinzessinnen ein und lassen eine Tiergeschichte um Löwe, Frosch und einen bunten Vogel zum Leben erwecken. Die zusätzliche Herausforderung: das Erzähltheater auch für taube, gehörlose oder schwerhörige Menschen und Menschen mit Hörbehinderung erlebbar zu machen. Dafür tüfteln die Erzählerinnen an den Übersetzungen in Gebärdensprache. Manche hat der Ehrgeiz gepackt und sie beherrschen die Gebärden auswendig. „Ich bin beeindruckt, mit welcher Geduld, Konzentration und Motivation sie sich in die Arbeitsprozesse reinknien“, lobte Kirsten Meyer zu Hoberge das Team, das sie zusammen mit Karolina Egeler anleitete. Und die Projektgruppe hat sich auch in der Teamarbeit bewährt: Denn bei der Vorführung alles in Einklang zu bringen – Gebärdensprache, Plakatwechsel und die Erzählung –, das haben sie anfangs alle unterschätzt, aber auch diese Hürde gemeistert.

Begeisterung der Schüler*innen als Sahnehäubchen

Zu meistern galt es in der Projektgruppe von Christian Ludolph und Veronika Böttcher den Mut auf der „Bühne“ zu stehen. Im Workshop „Improtheater“ nahmen ihre Schüler*innen spontan verschiedenste Rollen ein und steigerten sich von Aufwärmübungen und kurzen Szenen zur Langform. In „Der Mord“ und „Das Mietshaus“ probierten sich die Akteur*innen in zusammenhängenden Szenenfolgen als Ermittler*innen und Tatverdächtige oder als Bewohner*innen eines Mehrparteienhauses. Gute Steilvorlagen, um über sich hinauszuwachsen und das Selbstbewusstsein zu entwickeln, vor einer Gruppe zu stehen. „Auch das aktive Zuhören wird trainiert“, erklärt Christian Ludolph den Benefit, denn die Improvisateur*innen müssen den Wünschen der anderen aufmerksam lauschen, damit sie sich auf die Vorgaben einlassen können. „Man lernt viel über sich selbst und über die Gruppe“, ergänzt der Projektleiter. Beim Tag der offenen Tür wartete eine neue Herausforderung, als sie eine kleine Auswahl der geübten Improformen auf der „Improbühne“ vorführten. Gerade von den jüngsten Besucher*innen kamen ganz andere Vorschläge als aus der Woche gewohnt. Aber die Spieler*innen meisterten dies mit Bravour: Man konnte Jäger mit Gummibärchen auf die Jagd gehen sehen, und Gruppenkonflikte wurden mit spontanem „Massen-Schnick, Schnack, Schnuck“ aufgelöst. Was die Schüler*innen zum Improtheater und Theaterpädagogik gelernt haben, gab es auf Plakaten und Smartboards nachzulesen.

Beim Tag der offenen Tür erlebte die Schulgemeinschaft einen intensiven Vormittag mit interessierten Besucher*innen, die einerseits neugierig auf die Projekte waren und sich andererseits haben ausführlich beraten lassen zu den Ausbildungsmöglichkeiten. „Die Identifikation mit dieser Schule war bei unseren Schüler*innen deutlich zu spüren, ob am Waffelstand, beim Small Talk mit den Gästen oder in der Betreuung der Projekträume. Jeder hat sich eingesetzt“, lobt Robert Raddatz, stellvertretender Schulleiter. „Wurden unsere Schüler gefragt, wie die Schule ist, haben sich alle begeistert geäußert. Das war das Sahnehäubchen an diesem Tag“, sagt Kirsten Meyer zu Hoberge.