Tricks der Propaganda entlarvt

„Führer und Verführer“ löst Betroffenheit bei Brakeler Berufsschüler*innen aus

„Menschen haben das Menschen angetan“. Das hallte nach. Ungewohnt still waren die Schüler*innen des Kolping-Berufskollegs Brakel und des Kolping-Berufsbildungswerks Brakel, als sie sich auf den Rückweg vom Brakeler Kino in die Schule machten. Über zwei Stunden lang hatten sie auf der Leinwand verfolgt, wie Joseph Goebbels als Reichsminister für Propaganda das deutsche Volk manipulierte und welche tödlichen Auswirkungen dies für Millionen Menschen in Europa hatte. Der deutsch-slowakische Kinofilm „Führer und Verführer“, der im Juli in die Kinos gekommen war, war für die beiden Kolping-Einrichtungen die Triebfeder, einen gemeinsamen Kinotag zur politischen Bildung zu organisieren. Die warnenden Schlussworte „Es ist geschehen … und folglich kann es wieder geschehen“ nutzten die Lehrkräfte in der Nachbetrachtung des Films für die Auseinandersetzung mit den Fragestellungen: Mit welchen Instrumenten und Tricks hat Joseph Goebbels die Massen verführt? Warum funktioniert Propaganda? Wohin kann das führen? Bei vielen Schüler*innen löste der Film einen großen Redebedarf und Betroffenheit aus.

Lehrerin Natascha Flormann (links) hatte die Idee, mit Schüler*innen ins Kino zu gehen, um sie mit „Führer und Verführer“ für die Instrumente von Propaganda und ihre fatalen Auswirkungen zu sensibilisieren. Lehrerin Natascha Flormann (links) hatte die Idee, mit Schüler*innen ins Kino zu gehen, um sie mit „Führer und Verführer“ für die Instrumente von Propaganda und ihre fatalen Auswirkungen zu sensibilisieren. Foto: Jana Sudhoff Dafür waren nicht zuletzt die original Videoaufnahmen und Fotos verantwortlich, die in den Film – eine Mischung aus Dokumentarfilm und nachinszenierten Spielszenen – integriert worden waren. Szenen von Hinrichtungen, Massenerschießungen und Leichenbergen, die den Schüler*innen unter die Haut gingen, wie sich beispielsweise in der Gesprächsrunde zeigte, die Natascha Flormann moderierte. Von der Lehrerin des Kolping-Berufskollegs war die Idee für einen Kinotag ausgegangen, der sich zu einem schulübergreifenden Projekt für rund 100 Schüler*innen entwickelte. Alle Schüler*innen, die an diesem Tag im Kolping-Berufskolleg und Kolping-Berufsbildungswerk regulär einen Berufsschultag gehabt hätten, gingen gemeinsam in die Filmvorführung und in die anschließende Nachbereitung, die teils von Betreuer*innen des Bildungswerks begleitet wurden.

„So wahrheitsgetreu, wie es uns nützlich ist“

„Es war interessant, Goebbels Sicht zu sehen und wie die Menschen weitermanipuliert wurden, um den Krieg am Laufen zu halten“, resümierte einer der Schüler in der Filmbesprechung. So ließ Goebbels beispielsweise Filmaufnahmen aus einem Propagandabeitrag entfernen, die einen im Zuge der Rückschläge im Zweifrontenkrieg angeschlagenen Adolph Hitler zeigten: „Ein Führer zittert nicht. Diese Aufnahmen wird das Volk niemals zu sehen bekommen.“ Öffentliche Auftritte wurden akribisch und medienwirksam inszeniert: „Jede Minute, jedes Detail habe ich festgelegt“, sagt Goebbels in einer der vielen Filmszenen, die die propagandistischen Manipulationsmechanismen entlarven. „Propaganda, das ist eine Kunst wie die Malerei. Nicht das Bild ist von größtem Wert, das der Wirklichkeit am nächsten kommt. Nein, es ist jenes, dass die größten Empfindungen auslöst. Wir schaffen die Bilder, die bleiben werden“, hatte Goebbels in einer weiteren Filmszene die Essenz seiner Propaganda erklärt. Auf eine Meldung Himmlers, in der dieser von 20.000 Verhaftungen und 100 Toten berichtet, kontert Goebbels in einer anderen Filmszene beispielsweise: „Das geschieht den Juden recht. Aber in der Wochenschau, da sagen wir nichts darüber. Wir sind so wahrheitsgetreu, wie es uns nützlich ist.“

Auch heute noch aktuell und wirksam

Instrumente der Propaganda, derer sich auch in der heutigen Zeit Machthaber*innen, Politiker*innen und Hetzer*innen bedienen. „Die Schüler*innen waren schnell bei Trump, Putin und der AfD und warfen auf, dass man Social-Media-Beiträge hinterfragen muss“, berichtete Andreas Tobisch, Schulleiter des Kolping-Berufskollegs Brakel aus seiner Gesprächsrunde zum Film. Ihm war der Kinotag in Zeiten von Fake News, Desinformationen und Wahlbeeinflussungen ein besonderes Anliegen. „Es ist wichtig, dass die Schüler*innen genau wissen, wo das enden kann, wenn man andere Menschen ausgrenzt“, so Andreas Tobisch.

„Hätten wir in der damaligen Zeit gelebt, wären wir alle heute nicht mehr hier“, gab auch Natascha Flormann ihren Schülern zum Nachdenken mit – vor dem Hintergrund, dass es Menschen mit Beeinträchtigungen, Behinderungen oder Migrationshintergrund sind, die ausgegrenzt werden. „Viele vergessen, dass man Respekt voreinander haben muss und dass man jeden so nimmt, wie er ist“, betonte ein Schüler, dem sich wie viele der Kinogänger*innen entsprechende Zitate der Holocaust-Überlebenden im Film, unter ihnen Margot Friedländer, ins Gedächtnis gebrannt hatten. 

Dass die mahnenden Worte der Zeitzeug*innen nichts an Aktualität verloren haben, wissen die Schüler*innen auch aus der eigenen Realität. „Leute denken, dass sie cool sind und lassen sich inspirieren von Leuten, die so etwas nicht miterlebt haben“, hieß es zum Beispiel mit Blick auf rechtsradikale Graffiti. „Die kennen die Hintergründe gar nicht und haben sich noch nie damit auseinandergesetzt.“

Verlegung von Stolpersteinen

„Warum war es wichtig, dass wir in dem Film gewesen sind?“ „Damit so etwas nicht wieder passiert“, ist die erste Antwort, die die Schüler zum Tafelbild von Natascha Flormann beisteuern. „Es ist geschehen … und folglich kann es wieder geschehen.“ – das Schlusszitat aus dem Film beschäftigt auch die Schüler. „Wird es auch, definitiv“, hört man aus den Schülerreihen die Sorge in Anbetracht des aktuellen Zeitgeschehens heraus.

Teil gegenwärtiger und gelebter Erinnerungskultur sind auch die Stolpersteine, die seit 1992 in vielen Städten als kleine Gedenktafeln in den Boden verlegt werden. In Brakel kommen am 19. November weitere Mahnmale dazu. In Gedenken an das Schicksal der Familie Löwi und der Familie Heineberg werden zwei Stolpersteine – in der Warburger Str. und Am Gänseanger – in die Straßen eingelassen. Schüler*innen des Kolping-Berufskollegs Brakel und des Kolping-Berufsbildungswerks Brakel sind an der Aktion beteiligt.