Verzicht auf Spielzeug in der Fastenzeit
Kinder und Erzieher*innen profitieren von einem planlosen Kitaalltag
Süßigkeiten, Fleisch, Kaffee, Alkohol oder auch digitale Medien waren seit Aschermittwoch in manchem Haushalt gestrichen. Auch in der Adolph-Kolping-Kindertageseinrichtung Nordborchen wurde Verzicht geübt. In der Fastenzeit waren hier alle Spielzeuge weggeräumt. Weil das Projekt „spielzeugfreier Kindergarten“ schon bei seiner Premiere im vergangenen Jahr begeisterte, haben sich die Kinder auch in der diesjährigen Fastenzeit von ihrem Spielzeug getrennt und die inzwischen kargen Gruppenräume mit jeder Menge Fantasie und Ideenreichtum angefüllt. „Ich brenne für das Projekt“, berichtet Andrea Köchling, pädagogische Fachkraft, von ihren Erfahrungen.
Fantasie und Kreativität ersetzten in der „spielzeugfreien Fastenzeit“ in der Adolph-Kolping-Kindertageseinrichtung Nordborchen das Spielzeug.
Bis die ganze Kita spielzeugfrei war, gingen 14 Tage ins Land. In jeder Gruppe verabschiedeten sich die Kinder jeden Tag von einem bis zu zwei Spielzeugen. Welche Spielsachen als Nächstes das Feld räumen sollten, wurde täglich demokratisch in einem Abstimmungsverfahren entschieden – bis die Räume bis auf das Mobiliar wie leergefegt aussahen. Seitdem durfte mit allem gespielt werden, was nicht vorgefertigt ist: Decken, Kissen, Tücher, Wäscheklammern, Kartons, Papprollen, Möbel etc.
Nur durch kleine Impulse gelenkt
Statt sich morgens in die vertraute Bau- oder Puppenecke zurückzuziehen, galt es, neue Spielideen zu entwickeln. So verwandelte sich ein Gruppenraum beispielsweise kurzzeitig in einen Schminksalon: Haarbürste, Lippenstifte, Make-up & Co. wurden dafür mit Buntstiften selbst gemalt. Andernorts ging die Reise nach Sizilien. Für das intensive Rollenspiel hatten die Kinder einen Zug aus Stühlen gebaut und die Reisenden mit selbstgebastelten Zugtickets umworben. Auf dem Außengelände wurde es am Lagerfeuer mit gerösteten Marshmallows gemütlich – das Feuer unter den aufgeschichteten Zweigen und die Schaumzuckerhäppchen gab’s derweil nur in der Fantasie. Und sehen kleine Äste nicht sogar aus wie Handys? Auch Laptops lassen sich selber malen, damit entsteht flugs ein kleines Bürosetting.
„Ich würde gerne morgen Smarties mitbringen, können wir einen Kuchen backen?“ Auch für besondere Aktionen gingen die Impulse von den Kindern aus, so dass beispielsweise Waffeln und Schokoladenkuchen gebacken oder Eier gefärbt wurden.
„Natürlich kamen auch mal Langweile und Frust auf“, berichtet Andrea Köchling allen voran von der Anfangsphase, in der sich die „Ratlosigkeit“ schon mal in Geraufe und Gerangel manifestierte. „Unsere Aufgabe war es, die Energie mit kleinen Impulsen in etwas Konstruktives umzuleiten.“ Generell galt aber: Die Ideen sollten von den Kindern kommen und entwickelt werden. Lediglich die Kleinsten, die U3-Kinder, wurden stärker mit Vorschlägen unterstützt.
Begleiter*innen statt Anführer*innen
Ihre Kreativität trug mit jeder Menge Spielideen Früchte. Auch neue Spielgruppen und -partnerschaften haben sich formiert. „Das Projekt war zudem eine großartige Übung für die Gehirnentwicklung“, zählt Andrea Köchling weitere Benefits auf. „Was nicht vorhanden war, musste man sich vorstellen.“ Ebenso in ihrer sozialen Entwicklung hat das Projekt die Kinder vorangebracht. „Sie sind hilfsbereiter, wahrnehmender und achtsamer“, sagt die pädagogische Fachkraft.
„Die Kinder gehen erstmal planlos durch die Natur und schauen, was sich zum Spielen entwickeln lässt“, beschreibt Andrea Köchling die neugewonnene achtsame Blickweise. „Auch wir Erzieher*innen waren planlos und haben davon profitiert.“ Statt mit festen Konzepten und konkreten Lernzielen in die Gruppen zu gehen, warteten unbekannte Situationen, in denen die Kinder die Erzieher*innen mitnahmen. „Man wird dadurch wahrnehmender und sensibler für die Bedürfnisse der Kinder und wir können mehr in ihre Lebenswirklichkeit eintauchen“, freut sich die pädagogische Fachkraft über den neuen Fokus. „Wir sind mehr Begleiter*innen als Anführer*innen.“
Nicht jedes Spielzeug zieht wieder ein
Auch wenn die Fachkräfte die Kinder bereits zum zweiten Mal durch die spielzeugfreie Fastenzeit begleitet haben, ist kein Jahr wie das andere. „Im vergangenen Jahr hatten wir mehr Schulkinder, die bedingt durch ihr Alter mehr Ideen eingebracht haben und es wurde intensiver mit Möbeln gespielt“, hat Andrea Köchling in ihrer Gruppe beobachtet. Zudem sind die Eltern diesmal zurückhaltender, Material von zuhause in die Kita mitzugeben. „Trotzdem bleibt es kreativ und wird nicht langweilig.“
Jetzt ab Ostern ist die Zeit gekommen, das Spielzeug peu à peu über 14 Tage wieder in die Gruppenräume einziehen zu lassen. Wie beim großen Ausräumen entscheiden die Kinder jeden Tag neu, was sie sich zurückwünschen. Was nicht vermisst wird, bleibt dauerhaft weg.
„Den spielzeugfreien Kindergarten kann ich jedem nur ans Herz legen“, schwärmt Andrea Köchling. Rund eineinhalb Jahre hat die Adolph-Kolping-Kita in die Vorbereitungszeit investiert – unter anderem mit Hospitationen in der Kita Nesthausen in Elsen, die regelmäßig eine spielzeugfreie Zeit durchführt. Gestartet ist man in Nordborchen erst, als alle Kolleg*innen bereit waren, sich auf das Abenteuer einzulassen. Derweil der „Kummerkasten“, den die Kita für die Eltern anlässlich der Projektpremiere für Fragen und Bedenken aufgestellt hatte, leer blieb. „Es gibt nur positive Rückmeldungen.“