Von Null auf Hundert
Musiktheater am Delbrücker Berufskolleg übertrifft Erwartungen
Als sie das Schuljahr begannen, hatten sie keinerlei Theatererfahrungen. Jetzt, ihr erstes Musiktheaterstück später, können sie sich fühlen wie Stars. Die angehenden Erzieherinnen am Kolping-Sozial-Berufskolleg Delbrück haben ihr selbstgeschriebenes Stück „Aufs Floß und los – die Reise zum geheimen Vermächtnis“ den Erst- bis Drittklässler*innen der benachbarten Grundschule vorgespielt. Das 20-minütige Abenteuer von Vaiana, Rapunzel, Arielle, Pocahontas und Tinkerbell hat eingeschlagen wie eine Bombe. Nach der Aufführung wurden die Darstellerinnen belagert, umarmt und umschwärmt von ihren kleinen Fans – gefehlt haben nur noch Autogrammwünsche.
Robert Raddatz und (von links) Tatjana Geier (Vaiana), Nicole Braun (Rapunzel), Leony-Sofie Kehde (Pocahontas), Nurdan Zamanova (Bühnenumbau und Schildkröte), Kristina Breckel (Arielle), Marie Wolförster (Tinkerbell), Eyleen Ewers (Bühnenumbau und Requisite) und Liv Köhler (Kulissenbau und Technik, nicht im Bild) haben mit ihrem Musiktheater die Zuschauer*innen begeistert. Foto: Jana Sudhoff
Bei jeder Aktion auf der Bühne fieberten die kleinen Zuschauer*innen sichtbar mit: Sie verrenkten sich die Hälse nach hinten, sie klatschten mit, sie sprangen von den Stühlen auf, sie winkten den „Disneyfiguren“ zu, sie verfolgten jede Handlung auf der Bühne mit Spannung. Zu sehen bekamen sie, wie Müllberge die paradiesische Insel von Vaiana im Südpazifik verdrecken und sich sogar Arielle nicht mehr selbst aus einen Müllteppich befreien kann. „Überall Müll. Wo kommt der Müll her?“, fragte sich die Disneyclique und ging dem Übel auf den Grund. Den Schlüssel zu dem Problem fanden sie schließlich im geheimen Buch, das sie in der verborgenen Höhle entdeckten: „Wir sind die Veränderung, die wir brauchen. Wir räumen gemeinsam auf.“
„Zielgruppe voll getroffen“
Gestartet sind sie mit einem weißen Blatt Papier. Im Stuhlkreis haben sie sich erste Ideen wie Bälle zugeworfen, um daraus ein Musiktheaterstück zu schreiben. „Man braucht Zeit, Ausdauer und Geduld“, sagt ihr Lehrer Robert Raddatz, der die angehenden Erzieherinnen motiviert hatte, ein musikalisches Projekt auf die Bühne zu bringen. Ein Langzeitunterfangen: Ein Jahr lang hat die Klasse an ihrer „Reise zum geheimen Vermächtnis“ gearbeitet: Viel Zeit haben sie unter anderem investiert ins Bühnenbild und Requisiten, das mehrmalige Umschreiben der Geschichte und das Umtexten ihrer Liedauswahl. In ihrer eigenen Version sangen sie schließlich „Götter der Ewigkeit“ – Soundtrack des Disney-Zeichentrickfilms „Bärenbrüder – und Xavier Naidoos „Alles kann besser werden.“ Und nicht zu unterschätzen war die Herausforderung, das Stück auf das Alter ihrer Zielgruppe abzustimmen.
Schon mit der Wahl ihrer Charaktere haben sie bei dem jungen Publikum ins Schwarze getroffen. „Ihr seid meine liebsten Figuren“ schallte es den Akteurinnen entgegen. „Manche wollten uns sogar gerne anfassen“, berichtet „Arielle“. „Zielgruppe voll getroffen“ hagelte es direkt im Anschluss auch Lob von den Kolleg*innen aus dem Zuschauerraum. „Das Stück hat alle Erwartungen übertroffen“, war auch Schulleiterin Silvia Zimmardi begeistert. „Ich finde es beeindruckend, dass die Schülerinnen den Mut hatten, ohne Vorerfahrungen auf die Bühne zu gehen und zu singen.“
Der Sprung ins kalte Wasser hat sich gelohnt, so lautet auch die einhellige Meinung der Darstellerinnen und ihrer Mitstreiterinnen hinter den Kulissen. Auch wenn sich zu Beginn des Schuljahres ihre Begeisterung über ein Theaterprojekt noch in Grenzen gehalten und das Singen sie viel Überwindung gekostet hatte: Die Freude ist jetzt groß, sich aus der Komfortzone herausgewagt und sich eine Aufführung vor rund 200 Zuschauer*innen getraut zu haben. Eine Wiederholung denkbar? „Auf jeden Fall“, sagt die Raddatz-Gruppe.